Stefan Selke: Schamland

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Tirah
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Stefan Selke: Schamland

Beitrag von Tirah »

Stefan Selke: Schamland



Klappentext:
"Wir leben im Schamland. Wir werden nun sprechen, alle zusammen. Wir sind die, die seit Jahren Almosen in Empfang nehmen. Wir sind die Stimmen und das schlechte Gewissen der neuen sozialen Frage in Deutschland. Wir sind viele."

In einer einzigartigen Mischung aus Sozialreportage und messerscharfer Gesellschaftsanalyse nimmt der Soziologe Stefan Selke uns mit in die unbekannte Welt der Armen. Er zeichnet das Leben jener Menschen, die einst in der Mitte der Gesellschaft lebten und sich verzweifelt bemühen, ein Stück Normalität zu bewahren.

Wir leben in einem der reichsten Länder der Welt. Trotzdem muss jeder Siebte mit weniger als dem Existenzminimum auskommen. Der Soziologe Stefan Selke reiste jahrelang durchs Land, um mit Betroffenen zu sprechen. Er traf ehemals erfolgreiche Geschäftsleute, die beschämt bei einer Lebensmittelausgabe im Nachbarort Schlange stehen, damit sie nicht erkannt werden. Verarmte Witwen, die beim Arzt um Medikamente betteln oder fürchten, geborgte 3 Euro nicht zurückzahlen zu können. Menschen, die mit über 50 nicht mal eine Stelle zum Putzen bekommen und vereinsamen, weil kein Euro übrig ist für Hobbies oder ein Treffen mit Freunden.

Selke kritisiert, dass die Politik den Sozialstaat immer mehr beschneidet und dessen im Grundgesetz verankerte Aufgaben an ehrenamtliche und private Oranisationen delegiert. Tafeln, Suppenküchen, Kleiderkammern und Co. wurden so zum Motor einer neuen Armutsökonomie. Während die Mildtätigen sich selbst feiern, werden die Empfänger zu Menschen zweiter Klasse degradiert.

Im Herzstück des Buches verdichtet Selke die in vielen Interviews gesammelten Aussagen zu einer kritischen Bestandsaufnahme des Lebens im Schamland. In unter die Haut gehenden Szenen berichten die Betroffenen, was das Leben in Armut und als Bittsteller mit ihnen macht. Zum ersten Mal bekommen diejenigen, die sich sonst schamhaft verstecken, eine kraftvolle und nicht mehr zu überhörende Stimme.


Beurteilung:
Stefan Selke, Soziologe und durch jahrelange Arbeit mit dem Thema der "Tafeln" in Deutschland vertraut, hat hier ein Buch zum Thema Armut vorgelegt. Nichts besonderes, sollte man meinen, einfach ein weiteres Buch zu einem brisanten Thema. Vielleicht eines, das ein wenig populärwissenschaftlicher geschrieben wurde als andere Bücher zu dem Thema. Und doch ist dem Autoren hier etwas besonderes gelungen: ja, das Thema ist brisant und ja, das Buch ist nicht im Fachjargon gehalten. Vor allem aber ist es ein Buch aus Sicht Betroffener und das macht es zu etwas Besonderen auf diesem Gebiet. Es geht (unter anderem) um die Tafeln in Deutschland, aber nicht aus Sicht der Organisation dahinter und nicht aus Sicht der ehrenamtlichen Helfer, sondern aus Sicht der "Empfänger" - jener Leute, die auf der "anderen Seite" stehen.
Einiges von dem, was Stefan Selke schreibt, wirkt übetrieben - vielleicht um Aufmerksamkeit zu erregen? Sei es, wie es mag, dieses Buch rüttelt auf. Es zeigt die Dinge aus einer Perspektive, die man sonst nicht wahrnimmt und die Kritik des Autors an den Tafeln und vor allem an der momentanen Politik in Deutschland ist berechtigt. Und noch eines macht dieses Buch: Angst. Angst davor, plötzlich auch zu dem Heer der Tafel-Empfänger zu zählen, denn wie erschreckend schnell das gehen kann, zeigt dieses Buch ebenfalls.
"Schamland" ist ein wichtiges Buch, das möglichst viele Menschen in diesem Land (und hoffentlich viele Politiker) lesen werden. Ich gönne diesem Buch alles Aufmerksamkeit, die es bekommen kann.


Meine Wertung:
:buchwurm03:


Kategorie: Gesellschaft / Politik
Hardcover
Econ
279 Seiten
ISBN 3430201527 bzw. 9783430201520
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My recurring fantasy about libraries is that at night, after everyone goes home, the books come to life and mingle in a fabulous cocktail party. (Neal Wyatt)
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