Diese Geschichte ist ein Gemeinschaftsprojekt von Tirah und mir,
viel Spaß beim Lesen.
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Orthoriel cor Alrisha
- Erwischt -
Vorsichtig schlich sich Orthoriel durch die dunklen Gänge der Burg. Es war schon spät und es patrouillierten nur noch die Wachen im Burghof und auf den Zinnen. Zu ihrem Glück brannte nur jede zweite Ampel und tauchte die Korridore in ein geheimnisvolles Zwielicht. Nur noch ein paar Meter und sie war nahe genug am Schlafgemach, um die Gespräche der beiden Elben besser verstehen können.
„… kann das nicht weiter gehen. Wir brauchen Frieden in unseren Landen. Weiß eigentlich noch jemand, der lebt, warum es zu dieser Fehde zwischen dem Haus Zibal und uns gekommen ist? Reichen nicht schon Tiefentrolle und Menschen? Nein, wir müssen, ‚Der alten Tradition genüge tun’. Warum, ich kenne die Zibals nicht einmal näher.“, hörte sie die vertraute, tiefe, raue und brummige Stimme ihres Vaters, der den letzten Satz mit verstellter Stimme gesprochen hatte.
„Und dann noch der Krieg mit den Menschen.“, zornig schritt er auf und ab.
„Elon, soweit mir bekannt ist, ist dieser Krieg nun beigelegt und die Friedensverhandlungen sind ebenfalls erfolgreich abgeschlossen.“, sagte eine Frau mit sanfter, aber sehr bestimmter Stimme. „Mutter“, dachte Orthoriel, sie war immer die Ruhe selbst und immer wenn Mutter Vater beruhigen wollte, sprach sie ihn mit dem Vornamen an. Ein Lächeln huschte über Orthoriels Gesicht.
Sie blickte ein wenig weiter um die Ecke und sah das ernste Gesicht ihres Vaters. Ihre Mutter saß neben der Wiege ihres Bruders, Thendrîmin, und sang leise eine Weise, während ihr Vater weiter über die Trolle, den Krieg und die Menschen schimpfte.
Sie mochte dieses Lied sehr gerne. Mutter hatte es ihr oft vorgesungen und wenn sie auf ihren Bruder aufpasste, sang sie es ihm ebenfalls vor. Leise sang Orthoriel das alte elbische Lied mit.
That now belongs to yesterday
But late at night if you believe
There are still parts you can retrieve
Beyond our memories
Past where the eyes can see
Well disguised
Waiting there, dream devised
Safe from time's endless reach
Everything a child can teach
What to keep, what to save
When to dare an ocean's wave
There among life's memories
Remnants of a lullaby and thee
There was a time, now long before
We found a way to close each door
But in our minds through labyrinths deep
Late in our lives, those doors we seek
And in our fantasies
We try to find the keys
Reach the stairs
Follow them, each to where
Scattered there on the ground
Everything lost is found
Wished on coins, childhood wings
Carousels still turning
Waiting there patiently
Remnants of a lullaby and thee”
Sie hielt inne, als Vaters Stimme wieder energischer wurde, er die Lautstärke er aber deutlich senkte. Sicher hatte Mutter ihm ein Zeichen gegeben, denn ihr Bruder schlief sicher schon.
“Lass uns wenigstens Orthoriel nach Tejat schicken, es wird Zeit, dass sie unter Aeglossons Fittiche kommt. Zum Einen wäre sie dort in Sicherheit und zum Anderen muss sie endlich lernen, was leben heißt. Viel zu wohlbehütet wächst sie hier auf. Sie sollte schleunigst aus dem Daunenkasten hervorgeholt werden. Sie muss Alrisha endlich verlassen und die Welt kennen lernen.“
„Ach, Elon“, seufzte sie, „es ist wohl wirklich an der Zeit. Ich werde gleich morgen früh ein Schreiben an Aeglosson senden.“
Völlig überrascht von dem eben gehörten, entfuhr ihr ein leises „Oh!“. Im selben Augenblick hielt sie sich mit der rechten Hand den Mund zu und presste sich an die dunkle Granitwand. Stille. Sie lauschte angestrengt und glaubte schon, taub geworden zu sein. Neugierig schob Orthoriel den Kopf um die Ecke, waren ihre Eltern einfach gegangen? Noch ehe sie diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte, packte sie eine kräftige Hand im Nacken und zog sie unsanft hervor.
„Aha, wen haben wir denn hier?“, fragte ihr Vater grimmig. „Ich hoffe, Aeglosson bringt ihr auch noch die richtigen Manieren bei. Unsere Versuche sind wohl kläglich gescheitert.“
„Ich, wollte nicht.“, stammelte sie.
„Meine liebe Orthoriel!“, sagte Mutter sehr ruhig. Wenn sie so sprach, dann wurde es wirklich ernst, dass wusste Orthoriel nur zu gut. Also schwieg sie lieber und schaute auf ihre Füße.
„Das ist doch wohl nicht zu glauben. Meine Tochter schleicht sich wie ein Dieb an uns heran, um uns zu belauschen.“, kamen leise und kristallklar die Worte über Mutters Lippen. Doch für Orthoriel waren sie derart schneidend, dass es beinahe schmerzte. Jetzt stand sie sogar auf.
„Ich wollte zwar Deinem Vater noch einige Argumente gegen Deine Abreise nach Tejat vorbringen, doch Du hast mir meine Zweifel genommen. Danke mein Kind!“
Die folgende Stille war für Orthoriel erdrückend. Vorsichtig schaute sie zu Vater hoch und sein gütiges Gesicht und seine brummende Stimme beruhigten sie ein wenig. Sie liebte ihren Vater, er war vielmehr ein guter Freund als ein strenger Vater gewesen. Und nun war er es, der Mutter mit dem Vornamen ansprach.
„Neadrie“, lächelte er, „lass uns drei morgen früh noch einmal reden. Wir sollten zu Bett gehen.“
„Du hast Recht, mein Lieber.“
Blitzte in Vaters Gesicht ein kurzes aufmunterndes Lächeln auf? Er schob sie in den Korridor und begleitete sie zu ihrem Gemach.
„So, meine Lieblingstochter“, klang angenehm seine Stimme, so dass Orthoriel wieder Mut fasste und ihre übliche Antwort gab.
„Du hast doch nur eine Tochter!“
„Da hast Du aber ein Glück, da bleibt meine ganze Liebe für Dich allein.“
„Ähm, Ada! Da ist noch Thendrîmin!“, raunte sie ihm mit aufgesetzter, ernster Mine zu.
„Der ist doch mein Sohn, ihm bleibt meine ganze ‚Sohn-Liebe’“, lachte Elon.
Sein Lachen glich dem Klang einer großen alten Bronzeglocke und all ihre Sorgen waren hinfort geweht. Sie nahm ihren Vater in den Arm und er drückte sie. Wie wohl das tat. Er stützte sich auf ein Knie, küsste ihre Stirn und brummte,
„Gute Nacht, Hoheit, ich wünscht wohl zu ruhen.“
„Habt Dank, werter Edelmann“
Dann schlenderte ihr Vater durch den Korridor davon.
Der nächste Morgen begrüßte die kleine Stadt Alrisha mit schönsten, blauen Himmel, den die Natur hervorzubringen vermochte. Doch über Orthoriel hingen düstere Wolken der Vorahnung. Pünktlich erschien sie zum Frühstück in der großen Halle. Ihre Eltern saßen bereits am Tisch und sie begrüßte beide herzlich, wobei ihr Vaters Sorgenfalte auf der Stirn nicht entgangen war.
Still wurde das Frühstück eingenommen und als alles wieder abgeräumt war, deutete Mutter ihr, sitzenzubleiben.
Hilfesuchend schaute sie zu Vater, der ihr aufmunternd zulächelte.
„Orthoriel, ich habe gestern Abend noch lange mit Deinem Vater geredet.“, verkündete Neadrie mit ruhiger Stimme. „Wir haben uns entschieden, Dich nach Tejat zu schicken. Dort wirst Du bei Aeglosson untergebracht und je nach seiner Einschätzung, ausgebildet werden.“
Der Schreck fuhr durch ihre Glieder. Sie schaute in Vaters trauriges Gesicht und wusste, dass die Abreise schon bald sein würde.
„Und wann soll ich euch verlassen?“, fragte sie mit tränenerstickter Stimme.
„Schon morgen. Ein Gesandter von Aeglosson ist in der Stadt und wird Dich mitnehmen.“
Sie wäre am liebsten aufgesprungen und hätte sich in Vaters Armen verkrochen, doch sie wollte beweisen, dass sie sich unter Kontrolle hatte.
Der Tag verging schnell, viel zu schnell. Die Reisevorbereitungen nahmen Orthoriel sehr in Anspruch. Ein letztes Mal spazierte sie mit Vater am Waldrand und hier in aller Abgeschiedenheit ließ sie ihren Gefühlen freien Lauf und beweinte in Elons Armen ihr Unglück.
„Mir gefällt es auch nicht sehr, doch Du musst lernen, auf eigenen Beinen durchs Leben zu gehen. Aeglosson ist ein guter und sanftmütiger Elb, auch wenn er nach Außen wie eine knorrige Eiche wirkt.“
Schweigend kehrten sie in die Burg zurück und Orthoriel hoffte auf ein Wunder.
Den Abend verbrachte Orthoriel mit ihrem Vater in der großen Bibliothek. Vater rauchte eine Pfeife und las in einem alten Buch. Zwischendurch nippte er an seinem Glas Wein. Orthoriel starrte schon eine ganze Zeit auf dieselbe Seite in ihrem Buch und rührte auch ihren Wein nicht an. Elons sanfte, brummige Stimme ließ sie ein wenig zusammenzucken.
„Orthoriel, nun sei doch nicht so traurig. Wir schicken Dich doch nicht in die Trollhöhlen. Tejat ist die größte Stadt in Hilos und es gibt dort sicher eine Menge gut aussehender Elben“
„Einen Mann finde ich auch hier in Alrisha“, brummelte sie.
„Und viele neue Eindrücke erwarten Dich dort, bist Du denn gar nicht neugierig?“
„Nein“, knurrte sie nur.
„Du kannst bei Aeglosson lernen, wie Du einen Eichengeist beschwörst, vielleicht sogar einen Zentauren“. Seine Augen blitzten auf, als er sie über das Buch hinweg anschaute.
„Meinst Du wirklich?“, fragte sie, sichtlich bemüht, ein Lächeln zu verbergen. Elon erkannte aber das Leuchten in ihren Augen.
„Sicher, er ist der beste Bewahrer und Lehrmeister, den ich kenne. Du wirst schon sehen“
Elon nahm einen Schluck Wein, stand auf und ging zu den Bücherregalen. Nach einigem Suchen, zog er ein schmales, in Leder gebundenes Buch heraus und gab es Orthoriel.
„Das möchte ich Dir schenken. Ich bekam es einst von meinem Vater. Eine kleine Abhandlung über die Geister eines Bewahrers. Eichengeist, Naturkristall, Eichengänger und Zentauren sind dort genau beschrieben und“, er machte eine kleine Pause, „meine Anmerkungen zu den Kapiteln werden Dich immer an mich erinnern.“
Ihre Augen füllten sich langsam mit Tränen und beinahe tonlos sagte sie, „Ich brauche kein Buch, Du wirst immer an erster Stelle in meinem Herzen sein.“
Vater blies einen Rauchkringel und lächelte sie an.
„Warte nur, bis Du in Tejat einen jungen, hübschen Elb gefunden hast, dann werde ich schon ganz von ganz allein auf die niedrigen Plätze rutschen.“
„Niemals, die können mir alle gestohlen bleiben.“, sagte sie mit ernstem Gesichtsausdruck.
Elon stand lachend auf, küsste sie auf die Stirn und an der Tür drehte er sich noch einmal um.
„Gute Nacht, meine Lieblingstochter.“
Orthoriel erwiderte nichts und starrte nachdenklich zur Tür. Nach einigen Minuten schüttelte sie den Kopf, trank ihren restlichen Wein und ging zu Bett.
Der Morgen der Abreise war genauso schön, wie der vorige, nur für Orthoriel schien er viel dunkler. Neadrie stand mit Thendrîmin im Arm im Portal des Hauptgebäudes und wirkte kühl und einen Hauch abweisend wie immer. Vater war jedoch bis zum Pferd mitgekommen, umarmte sie herzlich und schaute so traurig, dass es Orthoriel in der Seele schnitt, wie eine glühende Klinge auf nackter Haut. Sie klammerte sich regelrecht an den Hals ihres Vaters.
„He! He! Du willst mich doch nicht noch erwürgen.“, raunte er ihr ins Ohr. Seine raue, brummige Stimme hatte auch dieses Mal seine Wirkung nicht verfehlt. Ein kleines Lächeln huschte über ihr Gesicht.
„Als ob ich einen Bären erwürgen könnte.“, kamen ihr mühsam die Worte über die Lippen und ein schiefes Lächeln sollte von ihren Tränen ablenken.
Elon lachte.
„Nun auf, holde Maid, hier ist Euer Bogen.“, rief er laut und schaute ihr aufmunternd ins Gesicht. Orthoriel kontrollierte noch einmal die Satteltaschen, schulterte den Bogen und saß auf.
„Cuio vae, Ada“, und noch einmal laut in Richtung Neadrie, „Cui vae!“
Mutter nickt kurz und winkte ihr zu. Sie beugte sich noch einmal vom Pferd herab.
„Ich schreibe Dir jeden Tag, Ada!“
Elon grinst breit, „ich werde jeden Brief sofort beantworten und nun los. Lass den Gesandten von Aeglosson nicht warten. Cuio vae, iel nîn“
Traurig trabte sie aus dem Burghof, traf auf dem Markplatz den Gesandten und sie ritten in Richtung Asterion davon. Am späten Abend erreichten sie die Stadt und rasch war ein Gasthaus gefunden, wo sie übernachteten. Gesprochen wurde nicht viel, über das Wetter, die schöne Landschaft, aber nichts von Bedeutung. Orthoriel war viel zu sehr in Gedanken versunken.
Am nächsten Morgen ritten sie weiter und Tejat war am Abend erreicht. Nachdem sie ihr Pferd versorgt hatte, ließ sich Orthoriel in der Abteilung der Novizen einschreiben und ihr wurde ein Quartier zugewiesen. Alle waren sehr freundlich und hilfsbereit, sie vergaß beinahe ihr Heimweh, doch als sie spät am Abend auf ihrem Bett saß und in Vaters Buch blätterte war sie den Tränen wieder nah.
Orthoriel lebte sich schnell ein und sie sog förmlich das Wissen auf. Bald waren auch Freundinnen gefunden, die ebenso eifrig lernten und es stellte sich heraus, dass sie ebenfalls schnell wieder nach Hause wollten. Die ersten Prüfungen kamen und wurden mit Bestnoten bestanden. Ihr Vater war sehr stolz und schrieb ihr tatsächlich auf jeden von ihren Briefen einen zurück. Sie wollte unbedingt einen Zentauren beschwören können und arbeitete hart an sich.
Gut gelaunt schritt Orthoriel nach dem Mittagessen in Richtung Schießplatz. Ihren Bogen auf dem Rücken, kramte sie gerade in ihrem Beutel nach dem Handgelenksschutz. Sie hatte ihn schon ertastet, als sie plötzlich mit einem Elben, der rasch um die Ecke bog, zusammenstieß.