Michael Tietz: Rattentanz

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Tirah
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Michael Tietz: Rattentanz

Beitrag von Tirah »

Michael Tietz: Rattentanz



Klappentext:
Was würdest du tun, wenn der Albtraum beginnt?

Wellendingen, ein idyllisches Dorf im Südschwarzwald: Eva Seger hat Frühdienst im Krankenhaus des Nachbarorts. Ihr Mann Hans ist beruflich in Schweden, ihre Tochter, die siebenjährige Lea, ist bei Nachbarn. Dass Eva wieder schwanger ist, will sie ihrem Mann erst bei seiner Rückkehr sagen. Eigentlich ist alles in bester Ordnung – bis plötzlich der Strom ausfällt. Die Telefone stehen still, Supermarkttüren öffnen sich nicht mehr, der Verkehr bricht zusammen, Flugzeuge stürzen ab. Der wirksamste Computervirus, der je ersonnen wurde, schleudert die Welt zurück ins Mittelalter. Langsam dämmert der Dorfgemeinschaft, dass der normale Alltag Vergangenheit ist.
Jeder ist sich selbst der Nächste; Freundschaft, Hilfsbereitschaft, Gerechtigkeit - all diese Werte zählen nichts mehr.
Für Eva und Hans Seger beginnt ein Überlebenskampf, auf den sie niemand vorbereitet hat. Alles andere wird unwichtig, es zählt nur eins: sie müssen nach Wellendingen zurück, um ihre Tochter Lea zu retten. Der Weg nach Hause wird zur Reise durch die Hölle…


Beurteilung:
Wenn der Strom ausfällt, ahnt zunächst niemand etwas Böses: was kann so ein Stromausfall schon ausrichten und außerdem wird in kürzester Zeit die Versorgung wieder hergestellt. Ein Stromausfall ist eine kleine Unbequemlichkeit, mehr nicht. Anders sieht es aus, wenn die Ursache für den Stromausfall der Absturz sämtlicher Computer weltweit ist. Spätestens dann wird nämlich klar, daß so gut wie alles von Computern gesteuert wird: Strom-, Gas- und Wasserversorgung. Warenlieferungen, Supermarktkassen und Benzinpumpen. Medizinische Geräte und Telefonnetze. Flugzeuge und hochmoderne Containerschiffe. Kein Bereich des Lebens ist mehr frei von Computern, direkt wie indirekt. Was aber, wenn die Computer abstürzen und sich nicht mehr hochfahren lassen?
Mit genau diesem Szenario spielt der Autor und das sehr gekonnt. Exemplarisch wählt er ein kleines Dorf mit gerade 500 Einwohnern im Schwarzwald und erzählt, wie sich das Leben dort nach der Katastrophe verändert. Zwischendurch gibt es kleine Episoden, die das Leben in den Großstädten schildern. Sein Fazit: pure Anarchie bricht aus. Die Zivilisation, wie wir sie kennen, ist nur eine dünne Tünche, die innerhalb weniger Stunden bröckelt.
Genau das aber ist ein Kritikpunkt: im Roman bricht die öffentliche Ordnung bereits nach zwei Stunden hoffnungslos zusammen und die ersten Polizisten werden gelyncht, was ich dann doch für überzogen halte. Die geschilderten Charaktere waren überwiegend sehr gut oder sehr böse, Grautöne gab es eher selten. Der Zusammenbruch der Gesellschaft wurde jedoch sehr interessant und vor allem spannend geschildert, wobei sich als das größte Problem innerhalb kürzester Zeit der Hunger herausschälte: sämtliche Lebensmittel-Produktionen sind computergesteuert und alle Angestellten zu Hause bei ihren Familien, die Supermärkte sind bereits nach drei Stunden geplündert. Dabei ist es doch noch gar nicht so lange her, daß die gesamte öffentliche Versorgung nicht über Computer gesteuert wurde - sonderbar, daß sich eben dies nicht wiederherstellen läßt. Die Handlung ist überwiegend auf das Dorf Wellendingen konzentriert, wo ein einzelner Bauernhof das Überleben der Dorfgemeinschaft sichert. Leider läßt die Spannung in der zweiten Hälfte nach, auch einige Landschaftsbeschreibungen hätten weniger ausführlich ausfallen können. Das Nachwort des Autors ist übrigens besonders lesenswert.
Diesen Kritikpunkten zum Trotz macht das Buch nachdenklich und ich zumindest hatte nach dem Lesen den Wunsch, in den nächsten Supermarkt zu fahren und mich mit Konservern und Dauerwaren einzudecken :leo_lach:


Meine Wertung:
:buchwurm2,5:


Kategorie: Endzeit
Taschenbuch
Ullstein
837 Seiten
ISBN 3548282512 bzw. 978-3548282510
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My recurring fantasy about libraries is that at night, after everyone goes home, the books come to life and mingle in a fabulous cocktail party. (Neal Wyatt)
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Re: Michael Tietz: Rattentanz

Beitrag von Tirah »

Achtung Spoiler!
Ein netter Gag am Rande war, daß der katholische Pfarrer schließlich den Zölibat sausen läßt, heiratet und Vater wird. :mrgreen:
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Re: Michael Tietz: Rattentanz

Beitrag von Tirah »

Ein passender Artikel in der "WELT" vom 15.08.2010 dazu:

Bei Stromausfall friert und stinkt die Republik
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Re: Michael Tietz: Rattentanz

Beitrag von Gesior »

Hört sich wirklich gut an.
Scheint von der Wirkung so ähnlich zu sein wie Ausgebrannt von Andreas Eschbach.
Seien Sonne, Wind und Wasser sanft um Euch und die Götter Euch wohlgesonnen!
GESIOR PALARE MIRRO
scolastcus artum arcanum. dominus mysteriorum. magister magicum.

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Re: Michael Tietz: Rattentanz

Beitrag von Tirah »

Gesior hat geschrieben:Hört sich wirklich gut an.
Scheint von der Wirkung so ähnlich zu sein wie Ausgebrannt von Andreas Eschbach.
Stimmt, die Wirkung ist vergleichbar. Allerdings fand ich "Ausgebrannt" deutlich realistischer. :):
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